Die toxische Wolke, die Südamerika einhüllt - Agrar Koordination

Den 60% der kleinsten Betriebe verblieben 5% der bewirtschaftbaren. Flächen17. Während offizielle Zahlen zu den. Jahren nach 2002 fehlen, geht die Indigene.
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Die toxische Wolke, die Südamerika einhüllt von Leonardo Rossi aus dem Spanischen übersetzt von Anja Zibell

Anhand von Paraguay und Argentinien lassen sich einige Gemeinsamkeiten im Hinblick auf das in Südamerika vorherrschende Agrarmodell veranschaulichen. Ein Beispiel dafür sind die sozialen und gesundheitlichen Probleme, die vom großflächigen Sojaanbau ausgehen. Diese Ölpflanze nimmt momentan ungefähr 20 Millionen Hektar in Argentinien1 in Anspruch, das sind mehr als 50 % der Anbaufläche, und in Paraguay sind es drei Millionen Hektar, mehr als 90% der dortigen Anbaufläche2. Der Sojaanbaus dehnt sich in Argentinien kontinuierlich seit 1970 aus. Eine grundlegende Veränderung des argentinischen Agrarmodells erfolgte 1996 mit der behördlichen Genehmigung zur Aussaat gentechnisch veränderter Sojasorten (Roundup Ready), die gegenüber dem Totalherbizid Glyphosat tolerant sind. Im Fall von Paraguay erfolgte der Einzug der „genetisch veränderten Organismen“ (GMO) auf andere Art und Weise – sie kamen seit 1997 als Schmugglerware ins Land. „Zwei Jahre später wurde der Samen massenhaft ausgesät ohne dass das Landwirtschafts- und Viehzuchtministerium der Nutzung der Samen zugestimmt hätte“, berichtet der Soziologe Tomás Palau Viladesau3. Erst 2004 hat Monsanto vier Roundup Ready-Sorten beim Landwirtschaftsministerium angemeldet, um mit der Legalisierung des Anbaus zu beginnen.

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www.siia.gov.ar (Landwirtschaftsministerium)

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www.tera.com.py/capeco (Vereinigung der Exporteure und Vermarkter von Getreide)

Soja-Monokultur in Alto Parana, Paraguay Foto: Steffi Holz

Glyphosatresistentes Saatgut und der Einsatz von Glyphosat haben sich zusammen mit der Technik der sogenannten Direktsaat verbreitet. Die Direktsaat ist eine Technik, bei der auf das Pflügen verzichtet wird und die Unkrautbekämpfung in der Regel verstärkt über Totalherbizide wie Glyphosat erfolgt. Dieses System nimmt in Argentinien mindestens 78 % der gesamten Anbaufläche4 in Anspruch und in Paraguay 90 %5. Gentechnisch veränderte Soja-, Mais- und Baumwollpflanzen werden in Paraguay auf etwa 4 Millionen Hektar, in Argentinien auf 24 Millionen Hektar angebaut.6 Chemische Wolke Die ansteigende Verwendung von Pestiziden ist eine Folge dieses Agrarmodells. Laut dem Ärztlichen Netzwerk der besprühten Dörfer (Red de Médicos de Pueblos Fumigados) ist der Pestizideinsatz in Argentinien in den letzten beiden Jahrzehnten um 858% angestiegen, während sich die genutzte Anbaufläche um 50% vergrößert habe und der Ertrag hingegen nur um 30% gestiegen sei. Dieses Kollektiv von 4

www.aapresid.org.ar (Argentinische Vereinigung der Produzenten in direkter Aussaat)

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www.baseis.org.py (Basis der Sozialforschung-Beobachtungsstelle für Agrobusiness)

Development and Current Status of No-till Adoption in the World, FAO, 2009

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www.isaaa.org (International Service for the Acquisition of Agro-Biotech Applications)

Ärzten, die die gesundheitlichen Auswirkungen des Agrarmodells untersuchen, geben an, dass in der Saison von 2012-2013, 317 Millionen Liter Pestizide gespritzt wurden. Glyphosat ist mit einem Marktanteil von 64% das meistverkaufte Produkt, 200 Millionen Liter werden jährlich verwendet7. Paraguay importierte 2014 ungefähr 41 Millionen Kilogramm Pestizide, von denen 17 Millionen Kilogramm glyphosathaltige Pestizide waren. Auch in Paraguay hat Glyphosat einen bedeutenden Marktanteil8. Obwohl die Befürworter der neuen landwirtschaftlichen Technologien, versichert haben, dass zum Beispiel die Direktsaat die Bodenschäden reduzieren, sind große Probleme aufgetreten, wie Umwelt-NGOs von der Beobachtungsstation Soja berichten: „Es haben sich resistente Unkräuter entwickelt. Daher werden höhere Konzentrationen verwendet oder es werden verschiedene Produkte, die nachweislich toxisch sind, gespritzt.“ „Derzeit werden 12 Liter Glyphosat auf ein und demselben Hektar, in vielen Fällen potenziert mit anderen Herbiziden verwendet, im Vergleich zu den drei Litern pro Hektar, die von 1996 bis 1997 verwendet wurden“. Die Beobachtungsstation hebt hervor, dass zum Beispiel die Menge des eingesetzten Herbizids 2,4-D in Argentinien Jahr für Jahr zugenommen hat und derzeit 20 Millionen Liter pro Jahr erreicht hat. Die Nutzung des nachweislich humantoxischen Herbizids Paraquat hat sich sogar noch mehr ausgebreitet durch die Förderung des sogenannten doppelten Aufschlags („doble golpe“) in AgrobusinessForen. Dieses Verfahren sieht vor dem Pflanzen im „ersten Aufschlag“ das Spritzen von Glyphosat und 2,4-D und einige Tage später Paraquat im „zweiten Aufschlag“ vor.

Gift in den Körpern Die Auswirkungen von Pestiziden auf die Gesundheit ist im letzten Jahrzehnt von diversen bäuerlichen und städtischen Organisationen angeprangert worden. Für viel Aufsehen hat zum Beispiel das Engagement einer Gruppe von Müttern aus dem Viertel Ituzaingó Anexo in der argentinischen Provinz Córdoba gesorgt. 10 Jahre, nachdem sie Anzeige erstattet hatten, verurteilte ein Gericht 2012 einen Sojaproduzenten, der Pestizide per Flugzeug gespritzt hatte, zu drei Jahren Gefängnis wegen der Übertretung des Nationalgesetzes zu Sondermüll (24.051). Artikel 55 sieht Strafen vor im Fall von Gefährdungen der Gesundheit und Umwelt durch Vergiftungen, Verunreinigungen und Verschmutzungen. In diesem Dorf bestätigte ein Amtsarzt, dass 114 Kinder von 142 untersuchten Kindern agrochemische Rückstände im Blut aufwiesen. Es wurde ebenfalls festgestellt, dass eine Vergiftung mit Endosulfan und Glyphosat vorlag – Pestizide, die auf dem Feld des verurteilten Produzenten verwendet worden waren. Dieser Gerichtsprozess setzte einen Präzedenzfall für das Land und die Region9. Verschiedene wissenschaftliche Studien und Laboruntersuchungen verweisen auf eine Verbindung zwischen agrochemischen Produkten und gesundheitlichen Problemen wie Missbildungen und Krebs. Auch einige Ärzte haben die gesundheitlichen Auswirkungen in Dörfern, die den Pestiziden in großem Umfang ausgesetzt sind, näher untersucht. Das Ärztliche Netzwerk der besprühten Dörfer (Red de Médicos de Pueblos Fumigados) weist daraufhin, dass in diesen Ortschaften „bei mehr als 30% der Todesfälle Krebs die Ursache war, während der nationale Durchschnitt bei unter 20% liegt10. Besonders betroffen ist auch Monte Maíz, ein Dorf im Südosten von Córdoba, das umgeben

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www.reduas.com.ar (Universitäres Netz für Umwelt und Gesundheit)

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www.senave.gov.py (Nationaler Dienst für Qualität und Gesundheit von Pflanzen und Saatgut)

Años de Lucha, unter www.leonardorossi.worpress.com Ebd., S. 10

ist von Soja- und Maisfeldern. Angesichts des Auftretens von Krankheiten, die sonst nicht vorkommen, baten die Dorfbewohner um eine Untersuchung. Nachdem ein Team des Ärztlichen Netzwerks der besprühten Dörfer unter Leitung von Medardo Avila Vazquez das Dorf im Jahr 2014 untersucht hatte, kam heraus, dass dort drei mal mehr neue Krebsfälle auftreten als im Durchschnitt der Provinzregionen. Die Anzahl der Frühgeburten war mehr als drei mal so hoch wie die übliche Prävalenz. Untersuchungen zeigten zudem die Belastung der Böden im Ort mit Glyphosat und den Insektiziden Chlorpyrifos und Cypermethrin. „Die Verunreinigung durch agrochemische Produkte ist der entscheidende Faktor in der Analyse der Umgebungsbedingungen des Dorfes“, schlussfolgert der Bericht von Ávila Vázquez und seinem Team11.

missgebildete Kinder zur Welt zu bringen, sei zwei Mal höher bei Menschen, die in der Nähe von besprühten Feldern wohnen.12

In Paraguay wurden ebenfalls derartige Untersuchungen durchgeführt. So hat zum Beispiel die Ärztin Stela Benítez Leite Encarnación untersucht – ein Gebiet, in dem viel Landwirtschaft betrieben wird. Sie kam zu dem Schluss, dass eine „Verbindung zwischen dem Ausgesetztsein gegenüber Pestiziden und angeborenen Missbildungen bei Neugeborenen“ besteht. Das Risiko

Fehlende Regulierungen zum Schutz der Menschen Trotz dieser schwerwiegenden Probleme gibt es in Argentinien keine nationale Gesetzgebung, die die Verwendung von Pestiziden regelt. Jede Provinz verfügt über die Autonomie, das Thema selbst gesetzlich zu regeln, und auch jede Gemeinde kann den Pestizidgebrauch regeln. Die Gesetzgebung erstreckt sich von der Erlaubnis des Spritzens direkt vor Wohngebieten bis zu Verboten des Spritzens bestimmter Pestizide in einzelnen Provinzen, wie zum Beispiel das gerade erlassene Verbot der Verwendung des Pestizids 2,4-D in der gesamten Provinz Santa Fe. Die Art und Weise der Pestizidanwendung und der Regulierungen variiert also stark zwischen einzelnen Orten. Weit verbreitet ist das die Pestizidanwendung per Flugzeug - auf jedem dritten Hektar wird aus der Luft gespritzt13. Allgemeingültige Schutzabstände zu Siedlungen gibt es nicht. Auch in Paraguay werden die unzureichenden Schutzabstände zu Siedlungen von Bauern- und Umweltorganisationen kritisiert. Laut des in Paraguay geltenden Gesetzes zur Verwendung von Pflanzenschutzmitteln, gilt beim Spritzen per Traktor ein Schutzabstand von 100 Metern, beim Ausbringen per Flugzeug sind es 200 Meter.“14. Problematisch in Argentinien – wie auch in anderen Ländern – ist zudem die Überprüfung von Lebensmitteln auf Pestizidrückstände. Ein Bericht einer argentinischen Prüfstelle (Auditoría General de la Nación) weist auf eine Reihe von Mängeln hin, die eine angemessene Kontrolle unterbinden: knappe Personalmittel, fehlendes technisches Zubehör und mangelnde Schulung des Personals.15 Hinzu kommt das

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Medardo Avila Vazquez, Red de Médicos de Pueblos Fumigados, Foto: Marcos Oviedo

Ebd., S. 10 Ebd., S. 6

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Por un uso responsable de las alas, Clarín Rural, 25/8/2012

Ebd., S. 6 www.agn.gov.ar

Problem der fehlenden Kennzeichnung gentechnisch veränderter Lebensmitteln. Das betrifft auch häufig konsumierte Lebensmittel, denen zum Beispiel Lecithin auf Basis gentechnisch veränderter Soja beigemengt wird. Zu den gesundheitlichen Problemen dieses Agrarmodells kommen soziale und ökologische Auswirkungen hinzu. In Paraguay ging die Ausbreitung des Anbaus von Soja in Monokulturen durch Großproduzenten einher mit der Verdrängung kleinbäuerlicher Produzenten und weiterer Waldrodungen Argentinien hatte nicht mehr Glück. Die Ausdehnung des Agrarsektors verbrauchte allein zwischen 2002 und 2011 drei Millionen Hektar Waldfläche.16 Was die sozialen Auswirkungen dieses großräumigen landwirtschaftlichen Modells betrifft, verschwanden zwischen 1988 und 2002 85.000 und damit 20 Prozent der landwirtschaftlichen Betriebe. Den 60% der kleinsten Betriebe verblieben 5% der bewirtschaftbaren Flächen17. Während offizielle Zahlen zu den Jahren nach 2002 fehlen, geht die Indigene Campesino-Bewegung davon aus, dass in den letzten 10 Jahren mindestens weitere 100 000 Familien aus den ländlichen Regionen verschwunden sind. Das Modell der großflächigen Landwirtschaft , das von den internationalen Organisationen, u.a. von der Weltbank und den Vereinten Nationen seit den 1970ger Jahren vorangetrieben worden ist hat das Ziel, den Hunger zu beenden nicht erreicht und darüber hinaus die Situation der Bauern in diesen Ländern noch verschlechtert. Trotz der beträchtlichen Schäden, die dieses auf Gentechnik, Monokulturen durch Großgrundbesitzer und Pestizide basierende Landwirtschaftssystem verursacht, argumentieren die Befürworter, dass es auf lange Sicht auch zur Lebensqualität der ländlichen Bevölkerung beitrage und die wirtschaftliche Entwicklung der Länder unterstütze. Nach Einschätzung des Soziologen

Pablo Lapegna wird der Diskurs zugunsten des vorherrschenden Landwirtschaftssystems in einem verflochtenen Beziehungsnetz zwischen Unternehmern, Politikern, Wissenschaftlern und zivilgesellschaftlichen Akteuren ausgetragen. Auf diese Weise hat das Agribusiness es geschafft, die Politik zu eigenen Gunsten zu beeinflussen. Das zeigt die Situation in Argentinien: In den letzten zehn Jahren haben sich in Argentinien die Anbauflächen für Soja verdoppelt und die Regierung visiert das Ziel an, die Anbauflächen für Export-Getreide bis 2020 weiter zu erhöhen auf 33-42 Millionen Hektar.

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Secretaría de Ambiente de la Nación

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Censo Nacional Agropecuario 2002

Das Modell verändern Doch bäuerliche Produzenten setzen zunehmend auf andere Alternativen. Sie sammeln immer mehr Erfahrungen mit der Reduzierung des Pestizideinsatzes und agrarökologischen Verfahren. Das beinhaltet „die Wiederverwertung von Nährstoffen und Energie, den Ersatz von externen Inputs, die Verbesserung der organischen Substanz und die biologische Aktivität des Bodens; die Diversifizierung der Pflanzenarten unddie Integration des Pflanzenbaus mit der Viehzucht“, erläutern die AgrarökologieExperten Miguel Altieri und Víctor Toledo.18. In diesem Sinn weisen verschiedene Organisationen in Paraguay sowie Argentinien mit ihren Schulungszentren den Weg. Beispiele dafür sind CONAMURI (Organización de Mujeres Campesinas e Indígenas) und Movimiento Campesino Paraguayo in Paraguay und das Movimiento Nacional Campesino Indígena in Argentinien. Auch Bewegungen auf lateinamerikanischer und überregionaler Ebene wie zum Beispiel Via Campesina oder das Movimiento Agroecológico de América Latina y el Caribe (Agro-Ökologische Bewegung in Lateinamerika und der Karibik) spielen eine wichtige Rolle. Auf argentinischem Gebiet verfügt das Movimiento Campesino de Santiago del Estero – VC, eine seit mehr als zwei Jahrzehnten existierende Organisation auf La Revolución Agroecológica en América Latina, SOCLA 2011

lateinamerikanischer Ebene, seit sieben Jahren seine eigene agro-ökologische Schule19. Auch Mauricio Córdoba von der Kooperative San Carlos hat sich auf Grund der Erfahrungen mit dem konventionellen Landwirtschaftsmodell für eine Landwirtschaft ohne Pestizide entschieden. Denn die landwirtschaftlichen Familien in seinem Umfeld haben an ihrem eigenen Leib die Schäden des konventionellen Modells erfahren: „Wir hatten Problemfälle, bei denen es Vergiftungen durch Agrarchemikalien gab“. Die Personen, die diese Arbeit machen, sind für das System austauschbar“, erläutert Mauricio. Zurzeit produziert er gesundes Gemüse, das er zu bezahlbaren Preisen auf dem ökologischen Markt der Stadt Córdoba verkauft. „Es gab eine Nachfrage von Menschen, die diese Produkte nirgendwo kaufen konnten. Und hier sind wir, um sie anzubieten“, erzählt der 28jährige Mann, der mit seiner Erfahrung zeigt, dass eine andere Landwirtschaft möglich ist.

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www.mocase.org.ar

Demonstration gegen Pestizide in der argentinischen Stadt Córdoba, Foto: Leonardo Rossi